Interview mit Markus Tröge

Markus Tröge, Leiter Gesundheits- und Sozialmanagement
Beratung für Themen des Gesundheits- und Sozialmanagement.
„Wir fangen unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf – in jeder Lebenslage“
avitea bietet allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine kostenfreie Gesundheits- und Sozialberatung, die bei Problemen finanzieller, sozialer oder familiärer Natur in Anspruch genommen werden kann. Wie das Angebot genau aussieht, welche Möglichkeiten der Beratung es gibt und wie ein Termin vereinbart werden kann, beantwortet Markus Tröge, Leiter des Gesundheits- und Sozialmanagements bei avitea, in unserem Interview.
Herr Tröge, Sie sind Gesundheits- und Sozialmanager bei avitea. Was bedeutet das konkret?
Markus Tröge: Genau, ich bin im dreizehnten Jahr hier bei avitea als Gesundheits- und Sozialmanager tätig. avitea war schon sehr früh weitblickend und hat festgestellt, dass man gerade im Bereich der Personaldienstleistung den Mitarbeitern durch die Angebote der Gesundheits- und Sozialberatung viel Wertschätzung entgegenbringen kann. Im Rahmen meiner Beratung versuche ich, vor allem im psychosozialen oder auch im finanziellen Bereich zu unterstützen. Für unsere Mitarbeiter können wir ein breites Spektrum an Beratung anbieten. Dafür stehe ich hier drei Tage die Woche zur Verfügung – von Montag bis Mittwoch. Da viele Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter von auswärts kommen und im Drei-Schicht-System arbeiten, versuche ich dann sowohl vormittags als auch nachmittags hier im Hause zu sein.
Welche Themen umfasst Ihre Beratung? Mit welchen Problemen kann ich mich als Mitarbeiter an Sie wenden?
Markus Tröge: Das Spektrum reicht tatsächlich von A bis Z. Die Mitarbeiter können zu mir kommen mit Themen rund um Alkohol, Burnout, chronische Erkrankungen, familiäre Schwierigkeiten, Depression bis hin zur Zwangsräumung der Wohnung. Es gibt also nichts, was es nicht gibt. Vielen Menschen fällt es schwer, mit ihrem eigenen Umfeld über ihre Probleme zu sprechen. Vielleicht auch, weil sie ihr Umfeld nicht belasten oder auch, weil sie nicht schwach erscheinen wollen. In solchen Fällen geht es manchmal auch einfach nur darum, mal fünf Minuten alles rauszulassen und zu weinen oder besser gesagt, sich auszuheulen. Es ist dann schon gut, dass mit mir so eine Art „seelischer Mülleimer“ oder ein Blitzableiter im Hause ist. Jemand, der die Menschen auch einfach auffangen kann und bei dem sich die Menschen auch sicher sein können, dass das Besprochene nicht weitergetragen wird. Weder an die Geschäftsleitung noch an die Personalreferentinnen und -referenten oder irgendeine andere Person. Es tut oft auch schon gut, einfach nur zu wissen, dass ein Ansprechpartner vor Ort ist. Das stelle ich mir immer in einem Bild vor. Ich bin früher geklettert. Wenn der Bergführer beim Klettern vorausgeht und mich angeseilt hat, dann bin ich gesichert. Dann gehe ich mit einem ganz anderen Gefühl, als wenn ich nicht gesichert sind.
In welchem Rahmen findet die Beratung statt und wie kann ich einen Termin hierfür vereinbaren?
Markus Tröge: Die Beratung findet meistens hier in der avitea-Zentrale in meinem Büro statt. Ich bin aber auch bei unseren Kundenunternehmen vor Ort oder mache Hausbesuche, wenn jemand zum Beispiel aufgrund von Krankheit in seiner Mobilität eingeschränkt ist. Natürlich kann die Beratung auch telefonisch erfolgen, aber ich bevorzuge den persönlichen Kontakt, um den Menschen möglichst effektiv helfen zu können. Ein Termin kann beispielsweise über die Personalreferentinnen und -referenten vereinbart werden. Diese haben Zugriff auf meinen Kalender und können dort direkt einen Termin einstellen. Manchmal sprechen mich auch Vorgesetzte, Meister oder Vorarbeiter aus den Kundenunternehmen an, die eine Veränderung bei einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin festgestellt haben. Dann schaue ich, inwiefern ich dort helfend eingreifen kann. Natürlich muss dies vorab mit dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin besprochen werden, da ich nicht in das Persönlichkeitsrecht des- oder derjenigen eingreifen werde. Zu guter Letzt besteht natürlich die Möglichkeit, dass Beratungssuchende spontan und direkt auf mich zukommen. In Notfallsituationen helfe ich auch sofort oder wir vereinbaren dann einen zeitnahen Termin.
An wen richtet sich die Sozial- und Gesundheitsberatung bei avitea?
Markus Tröge: Das Angebot der Sozial- und Gesundheitsberatung richtet sich vorrangig an unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Kundenunternehmen. Diese sollen hier bei uns im Haus einen Ansprechpartner für ihre Probleme und Sorgen haben, der eben nicht direkt im Kundenunternehmen sitzt. Darüber hinaus beraten wir auch Personen bis zum ersten Familiengrad unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das heißt zum Beispiel die Ehepartner oder Kinder unserer Mitarbeiter. Als Beispiel: Die Ehefrau eines Mitarbeiters leidet unter Krebs. Dann ist sie herzlich eingeladen zu mir in die Beratung zu kommen. Wir schauen dann, mit welchen Maßnahmen wir das System „Familie“ an dieser Stelle unterstützen können. In solchen Fällen kann ich dann auch als Verbindungsmann zu weiterführenden Organisationen vermitteln. Für unsere internen Mitarbeiter biete ich darüber hinaus aber auch klassisches Coaching an, zum Beispiel im Bereich der Weiterentwicklung von Führungskräften.
Was muss ich mir darunter vorstellen, dass Sie als Verbindungsmann oder Vermittler agieren?
Markus Tröge: Als Beispiel: Ich bin kein Spezialist in Sachen Schuldnerberatung. Dafür habe ich hier aber mit der Arbeiterwohlfahrt einen Kooperationspartner. Da kann ich dann beispielsweise einen Termin vereinbaren – natürlich nur mit einer Schweigepflichtentbindung des- oder derjenigen, die bei mir vorstellig war. Ich unterliege hier der gesetzlichen Schweigepflicht, die auch nur brechbar ist, wenn mir die Erlaubnis erteilt wird oder wenn Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt. Insgesamt habe ich aber ein gutes Netzwerk und kann neben der Schuldnerberatung auch an Krankenhäuser, Suchtkliniken, die Stadt oder Ärzte vermitteln. Oftmals ist es eine große Hilfe, wenn den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser erste Schritt abgenommen wird. Ich halte es für sehr wichtig, dass ich nicht nur Schreibtisch- oder Worttäter bin, sondern auch versuche, im Beisein der Mitarbeiter sofort etwas in die Wege zu leiten. Damit die Mitarbeiter sehen, dass sich direkt um sie gekümmert wird: „Ich bin nicht nur eine Personalnummer, sondern ich bin hier wertvoll und hier wird was für mich getan.“ Und das ist dann oftmals auch der zündende Faktor, dass sich die Menschen in ihrer Situation ein bisschen besser fühlen. Hinzu kommt, dass ich als offizielle Stelle vielleicht doch etwas mehr bewirken kann, als wenn jemand privat bei der Stadt oder im Krankenhaus anruft.
Und wie „schlimm“ muss mein Problem sein, dass ich damit zu Ihnen kommen kann?
Markus Tröge: Das ist sehr unterschiedlich und liegt auch im persönlichen Empfinden des Einzelnen. Es gibt Menschen, die sehr früh Hilfe in Anspruch nehmen. Das ist auch gut so, denn wir können einfach schon viel mehr helfen, bevor das Kind sprichwörtlich in den Brunnen gefallen ist. Andere wiederum tragen ihre Probleme sehr lange mit sich herum. Vor allem, wenn die Probleme sehr belastend sind. Daher appelliere ich immer an die Personalreferenten oder Vorarbeiter, wachsam zu sein und mit mir zu sprechen, wenn das Gefühl aufkommt, dass es einem Kollegen sehr schlecht geht. Abgesehen davon, kann man den Schweregrad eines Problems nicht gewichten. Die Trennung von der ersten Freundin mit 17 Jahren kann genauso tragisch und dramatisch empfunden werden wie eine lebensbedrohliche Krankheit. In jedem Fall kann man mit seinen Problemen zu mir kommen. Ich versuche dann im Rahmen meiner Möglichkeiten zu helfen oder an einen Experten, eine Beratungsstelle zu vermitteln.
Welche Ausbildungen haben Sie, um die Menschen zu unterstützen?
Markus Tröge: Ich komme ursprünglich aus der Psychoonkologie – also der psychologischen Betreuung rund um Krebserkrankungen – und habe mich zusätzlich auf das Burnout-Syndrom spezialisiert. Ich bin darüber hinaus aber auch als Notfallseelsorger ausgebildet. Das heißt, ich kann auch in der Hinterbliebenenbetreuung unterstützen. Ich habe außerdem auch eine kunsttherapeutische Ausbildung, bin Mentalcoach und Fitnesstrainer. Vor allem bei Depression, Burnout oder Krebserkrankungen gibt es die Möglichkeit, die Ressource Sport zu nutzen. Wenn jemand schon als Jugendliche oder Jugendlicher Sport – zum Beispiel auch zum Stressmanagement – genutzt hat, dann kann man versuchen, da wieder anzuknüpfen.
Das klingt spannend! Inwiefern können Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Fitnesstrainer helfen?
Markus Tröge: Sport und Bewegung können sehr hilfreich sein, wenn es der Seele mal nicht so gut geht. Wenn jemand traurig oder gestresst ist, dann frage ich manchmal: „Was haben Sie denn früher gemacht, wenn Sie traurig waren?“ Oft bekomme ich dann die Antwort: „Ich bin gelaufen. Ich bin in den Wald gegangen. Ich bin ins Fitnessstudio gegangen.“ Und diese Strategie kann natürlich heute auch wieder helfen. Dann kann ich beispielsweise einen Trainingsplan mit der Person erarbeiten. Dieselbe Strategie greift aber auch in anderen Bereichen, zum Beispiel dem musikalischen. Da kann man sein Instrument von früher mal vom Dachboden kramen oder ein Lied über seine Probleme oder die derzeitige Situation schreiben. Im Gespräch merke ich schnell, welchen Typ Mensch ich vor mir sitzen habe, ob eher visuell, auditiv oder haptisch. Wenn jemand naturverbunden ist, dann könnte man auch raten: „Schreiben Sie Ihr Problem einfach mal auf, gehen in den Wald und begraben es irgendwo.“ Es gibt also viele unterschiedliche Herangehensweisen. Dementsprechend ist es ein gewisser Vorteil, dass ich in verschiedenen Richtungen ausgebildet bin. Und manchmal ist es tatsächlich so, dass Sport wie ein Antidepressivum wirken kann. Gerade Ausdauersport ist da sehr hilfreich. Und darüber gelangt man dann vielleicht auch an den Kern oder den Auslöser der ganzen Problematik. Optimal ist es natürlich, wenn man nicht nur am derzeitigen Symptom arbeitet, sondern dass man auch die Ursache im Auge behält.
Was ist das Besondere an Ihrem Angebot im Bereich Sozial- und Gesundheitsmanagement?
Markus Tröge: Unser Angebot hier bei avitea ist aus meiner Sicht einzigartig. Ich kenne das eine oder andere Unternehmen, welches sporadisch Sozialberatung im Programm hat, aber auf keinen Fall in dieser Qualität und Quantität wie avitea. Das zeichnet uns schon aus. Wie ich bereits gesagt habe, bin ich jetzt im dreizehnten Jahr bei avitea tätig und kann wirklich behaupten, dass diese soziale, wertschätzende Herangehensweise hier wirklich gelebt und unterstützt wird. Das Besondere an meinem Angebot liegt dabei vor allem im ganzheitlichen Ansatz. Ich habe dadurch die Möglichkeit, die unterschiedlichen Ressourcen des oder der Einzelnen relativ schnell aufzudecken und nutzbar zu machen. Das heißt auch, dass das Angebot nicht bei psychosozialer Beratung endet. Ich analysiere dann gemeinsam mit der jeweiligen Person: Über welche Ressourcen verfügt die Person? Wo sind diese Ressourcen aufgrund der Problematik zugeschüttet? Wo kann man sie wieder entdecken? Wie kann man die Mitarbeiterin oder den Mitarbeiter anleiten, sich diese Dinge wieder selbst zu erarbeiten? Der klassische Gedanke ist hier: „Hilfe zur Selbsthilfe“.
Hat sich die Gesundheits- und Sozialberatung in Zeiten von Corona verändert?
Markus Tröge: Ja. Es gibt durchaus Führungskräfte, die auf mich zu kommen, weil sie eine Veränderung bei ihren Mitarbeitern in oder nach der Corona-Zeit festgestellt haben. Das hat auch mehrere Gründe. In vielen Haushalten ist es so, dass beide Elternteile arbeiten und von den Räumlichkeiten her keine Möglichkeit des Rückzugs besteht. Dass eine Familie mit zwei Kindern in einer Drei-Zimmer-Wohnung lebt ist heute mehr oder weniger normal. Wenn man dann zwei schulpflichtige Kinder hat und selbst noch kein Arbeitszimmer und ohne Bürostuhl vor seinem Couchtisch sitzt, dann tut nach zwei Stunden erst einmal der Rücken weh. Und dann sind die Kinder auch noch da und müssen betreut werden. Das sind Stressfaktoren. Es gibt eben in der Corona-Zeit nicht für jeden die Möglichkeit, sich räumliche Distanz zu schaffen. Gerade auch bei Einzelpersonen ist es so, dass hier ein verstärkter Medikamenten- oder Alkoholmissbrauch festgestellt werden kann. Zudem sind laut Krankenkassen die Depressionen seit anderthalb Jahren um 40 Prozent gestiegen. In dieser Zeit, in der zum Beispiel auch die Fitnessstudios geschlossen waren, gab es für den einen oder andren wenig Kompensationsmöglichkeiten, um Stress abzubauen. Da kann es auch schon mal zu einem gesteigerten Aggressionspotential kommen, was dann auch zu Suchtverhalten oder ähnlichem führen kann.
Wie hat sich die Beratung in Zeiten von Corona verändert? Haben Sie die Möglichkeit, die Leute auch digital zu erreichen?
Markus Tröge: Ja, die Möglichkeit, eine Beratung per Videocall zu machen, besteht natürlich. Darüber hinaus kann man das alles auch über das Telefon laufen lassen. Ich nenne es mal „Erste Hilfe für die Seele am Telefon“. Falls es um einen Menschen geht, der in einem Telefonat nicht so kommunikativ ist, dann machen wir das hier und da auch schon mal per E-Mail und hoffen, dass das dann Früchte trägt. Am liebsten ist mir eine Beratung aber immer noch face-to-face, weil ich dann natürlich die Person sehe und die Körpersprache interpretieren kann. Passt das Gesagte auch mit der gezeigten Körpersprache zusammen? Das sind Spitzfindigkeiten, da mache ich auch keine Schublade auf, aber es ist zum Verständnis des Einzelnen notwendig, um einfach vielleicht auch seine Zerrissenheit zu sehen, ist jetzt nicht das Non-plus-ultra, aber es ist etwas, was man beachten sollte, finde ich. Und wie gesagt, es kann sich da auch zeigen, inwieweit eben der Mensch auch zerrissen ist.